Wann ist Umkleide- und Waschzeit Arbeitszeit?

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) und der Europäische Gerichtshof (EuGH) haben in jüngster Zeit wiederholt zu Fragen der Arbeitszeit Stellung genommen. Dabei ging es um die praktischen Dauerbrenner, in welchen Fällen Umkleide- und Waschzeiten zur Arbeitszeit zählen und wann diese zu vergüten sind.


Zunächst muss man beachten: Arbeitszeit ist nicht gleich Arbeitszeit. Es kommt vielmehr auf den Zusammenhang an. Geht es darum, wie lange ich maximal arbeiten muss, dann ist das Arbeitszeitgesetz angesprochen. In § 3 Arbeitszeitgesetz ist zum Beispiel bestimmt, dass die Arbeitszeit pro Werktag nicht mehr als 8 Stunden betragen darf; sie kann aber auf zehn Stunden verlängert werden, wenn dies später wieder ausgeglichen wird. Oftmals geht es aber um die Frage, ob bestimmte Arbeitszeiten auch zu vergüten sind - und wenn ja, dann in welcher Höhe. Dass Arbeitszeit und Vergütungspflicht nicht das gleiche sind, zeigt sehr anschaulich das Beispiel der Beifahrerzeiten eines LkW- Fahrers: diese sind zwar kraft Gesetzes keine Arbeitszeit im arbeitsschutzrechtlichen Sinn (§ 21a Abs.1 Satz 1 Nr.3 ArbZG), aber dennoch grundsätzlich als „Reisezeit mit Arbeit“ zu vergüten (BAG v. 20.04.2011 – 5 AZR 200/10).


Trotzdem stehen die verschiedenen Arbeitszeitbegriffe nicht beziehungslos nebeneinander. Denn regelmäßig nehmen arbeitsvertragliche oder tarifliche Vergütungsregelungen (unausgesprochen) auf den Arbeitszeitbegriff des Arbeitszeitgesetzes Bezug (BAG v. 19.09.2012 - 5 AZR 5 AZR 678/11). Mit anderen Worten: wenn es sich hier um Arbeitszeit nach dem Arbeitszeitgesetz handelt, ist die Zeit auch zu vergüten.





Umkleide - und Waschzeit

Umkleide- und Waschzeiten sind - so lassen sich die jüngsten Entwicklungen der Rechtsprechung zusammenfassen - dann Arbeitszeit nach dem Arbeitszeitgesetz, wenn sie ausschließlich dem Bedürfnis des Arbeitgebers dienen, wenn sie - so formuliert es die Rechtsprechung - also aus Arbeitnehmersicht rein fremdnützig sind. Dabei ist zwischen dem Tragen allgemeiner Arbeitskleidung einerseits und besonders auffälliger Arbeitskleidung andererseits zu unterscheiden. Besonders auffällig ist Dienstkleidung dann, wenn sie ohne weiteres einem bestimmten Arbeitgeber zugeordnet werden kann, sei es durch auffällige Gestaltung oder Schriftzüge (BAG v. 17.11.2015 - 1 ABR 76/13).


(1) Allgemein ist das Ankleiden vorgeschriebener Dienstkleidung dann Arbeitszeit, wenn das Umkleiden nach Vorgabe der Firma zwingend im Betrieb erfolgen muss. Kann die Dienstkleidung dagegen auch zu Hause an- und abgelegt werden, ist es keine Arbeitszeit (BAG v. 10.11.2009 - 1 ABR 54/08). Die Dienstkleidung dient aber auch dann den Interessen des Arbeitgebers und das Umziehen ist daher Arbeitszeit, wenn die Berufskleidung zwar theoretisch auch zu Hause angelegt werden kann, das Umziehen im Betrieb - z.B. wegen erheblicher Verschmutzung - aber die einzige zumutbare Möglichkeit ist (LAG Hessen v. 23.11.2015 - 16 Sa 494/15).


(2) Bei besonders auffälliger Dienstkleidung soll es auf die Entscheidung des Arbeitnehmers ankommen: Grundsätzlich dient das Tragen besonders auffälliger Dienstkleidung dem Interesse des Arbeitgebers. Nutzt der Arbeitnehmer eine betriebliche Umkleidemöglichkeit, ist das An- und Ablegen daher Arbeitszeit. Anders ist es aber, wenn dem Arbeitnehmer gestattet ist, die auffällige Dienstkleidung zu Hause anzulegen und er sich entscheidet, dies auch zu tun (BAG v. 17.11.2015 - 1 ABR 76/13). Anweisen kann der Arbeitgeber den Arbeitnehmer aber nicht, derartige Arbeitskleidung zu Hause an- und abzulegen (BAG v. 10.11.2009 - 1 ABR 54/08; BAG v. 17.11.2015 - 1 ABR 76/13).


Ist das Tragen von Dienstkleidung nach den vorangegangenen Grundsätzen fremdnützig, dann gehören zur Arbeitszeit nicht nur das Umkleiden selbst, sondern auch die innerbetrieblichen Wege von und zu einer vom Arbeitsplatz getrennten Umkleidestelle. Ebenso zur Arbeitszeit zählen rein fremdnützige Reinigungs- und Waschzeiten oder die Entgegennahme und das Zurückgeben betriebsnotwendiger Arbeitsmittel, wenn der Arbeitnehmer sich entscheidet, die Arbeitsmittel bei Dienstende zurückzugeben (BAG v. 17.11.2015 - 1 ABR 76/13). Auch hier gilt wiederum, dass Arbeitszeit dann nicht angenommen werden kann, wenn der Arbeitnehmer die Gegenstände auch privat nutzt wie etwa bei auch privat überlassenen Mobiltelefonen (BAG v. 12.11.2013 - 1 ABR 59/12).





Vergütungspflicht von Umkleide- und Waschzeiten

Handelt es sich um Arbeit nach dem Arbeitszeitgesetz, heißt dies - wie oben erläutert - noch nicht ohne weiteres, dass die Zeit für das Umkleiden auch zu vergüten ist. Die Vergütung richtet sich nach den folgenden Grundsätzen:


Der Arbeitnehmer kann die Zeit, die er dafür benötigt, sich umzuziehen, ohne weiteres immer dann vergütet verlangen, wenn nach der Art der Tätigkeit bereits das Umkleiden Arbeit ist. Das ließe sich etwa bei einem Fotomodell annehmen, für das bereits das Umziehen zur arbeitsvertraglichen Hauptpflicht gehört (BAG v. 22.03.1995 - 5 AZR 934/93). Das Umkleiden ist hier als „Leistung der versprochenen Dienste“ im Sinne des § 611 BGB vergütungspflichtig.


Ob das Umkleiden und Waschen auch in anderen Fällen vom Arbeitgeber zu vergüten ist, war nach der früheren Rechtsprechung davon abhängig, ob dies „den Umständen nach zu erwarten“ war (§ 612 Abs.1 BGB). Da die Tarifverträge der einschlägigen Branchen typischerweise eine Vergütung des Umkleidens und Waschens aber gerade nicht vorsahen, fehlte es regelmäßig an einer solchen sog. objektiven Vergütungserwartung (BAG v. 11.10.2000 - 5 AZR 122/99). Seit einer grundlegenden Entscheidung aus dem Jahre 2012 geht der fünfte Senat des BAG nunmehr davon aus, dass auch das Umkleiden und Waschen mit der Arbeitsleistung in unmittelbarem Zusammenhang steht, und entscheidet auch die Frage der Vergütung anhand des Merkmals der Fremdnützigkeit (grundlegend BAG v. 19.09.2012 - 5 AZR 678/11). Das vom Arbeitgeber angeordnete Umkleiden im Betrieb ist daher zu vergüten, wenn es sich dabei nach den vorstehend erläuterten Grundsätzen um eine ausschließlich fremdnützige Tätigkeit handelt. Die Abgrenzung von Arbeitszeit und Vergütungspflicht erfolgt also nach grundsätzlich dem gleichen Merkmal.


Regelmäßig nehmen arbeitsvertragliche oder tarifliche Vergütungsregelungen (unausgesprochen) auf den Arbeitszeitbegriff des Arbeitszeitgesetzes Bezug. Dann folgt die Vergütungspflicht schon aus der Einordnung als Arbeitszeit (anschaulich dazu BAG v. 19.09.2012 - 5 AZR 5 AZR 678/11). Die Tarifvertrags- und wohl auch die Arbeitsvertragsparteien haben aber ganz generell die Befugnis festzulegen, wie Arbeitsleistung entgolten wird. Damit können sie auch Teile der Arbeitszeit von der Vergütungspflicht ausschließen. Per Tarif- oder Arbeitsvertrag können daher die Zeiten für das Umkleiden und Waschen pauschaliert werden (für Tarifverträge BAG v. 19.09.2012 - 5 AZR 678/11; LAG Hamburg v. 06.07.2015 - 8 Sa 53/14). Umstritten ist, ob abweichende Vergütungsvereinbarungen für das Umkleiden (und damit verbundene Wegezeiten) auch dann möglich sind, wenn die Arbeitskleidung gerade dem Arbeitsschutz dient oder ob in diesen Fälle eine Vergütung zwingend ist (so LAG Hamburg v. 06.07.2015 - 8 Sa 53/14).





Mitbestimmungsrecht bei Umkleide- und Waschzeit

§ 87 Abs.1 Nr.2 BetrVG gibt dem Betriebsrat ein Mitbestimmungsrecht über die Lage der Arbeitszeit. Es geht hier um die Lage der Grenze zwischen Arbeitszeit und Freizeit. Arbeit i.S.d. Vorschrift ist die Zeit, während derer der Arbeitnehmer die von ihm in einem bestimmten Umfang vertraglich geschuldete Arbeitsleistung tatsächlich erbringen soll (BAG v. 17.11.2015 - 1 ABR 76/13). Vorbereitungshandlungen wie das Umkleiden und Waschen zählen nach dem zuständigen ersten Senat des BAG dann hierzu, wenn sie aus Arbeitnehmersicht einem fremdem Bedürfnis dienen und nicht auch eigenes Bedürfnis des Arbeitnehmers erfüllen (BAG v. 17.11.2015 - 1 ABR 76/13; BAG v. 12.11.2013 - 1 ABR 59/12). Die Abgrenzung erfolgt also wiederum prinzipiell im Einklang mit den Grundsätzen zur Arbeitszeit i.S.d. ArbZG.


Auch bei der betrieblichen Mitbestimmung sind Tarifverträge vorrangig. Ein Mitbestimmungsrecht in sozialen Angelegenheiten scheidet nämlich allgemein dann aus, wenn eine abschließende tarifliche Regelung besteht und der Arbeitgeber an den Tarifvertrag gebunden ist (§ 87 Abs.1 Einleitungssatz BetrVG). Wenn also bereits der Tarifvertrag konkret den Beginn und das Ende der Arbeitszeit bestimmt, sperrt der Tarifvertrag das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats (BAG v. 15.07.1993 - 6 AZR 398/92). Es ist noch zu beachten, dass es im Rahmen des § 87 I Nr.2 BetrVG allein um die Lage der Arbeitszeit geht. Wie lange die Umkleidezeiten dauern oder welche Tätigkeiten konkret zu dem fremdnützigen Umkleiden gehören, fällt also nicht in den (zwingenden) Mitsprachebereich des Betriebsrats (BAG v. 12.11.2013 - 1 ABR 59/12). Im Rahmen eines Arbeits- oder Tarifvertrages kann die Dauer der Umkleidezeit aber pauschaliert werden (für Tarifverträge BAG v. 19.09.2012 – 5 AZR 678/11).